Auf einen Schlag sind wir plötzlich etwas jünger. Nicht dass wir uns so fühlen würden, schliesslich sitzen wir seit einigen Stunden im Flieger. Wir überqueren soeben die Datumsgrenze. Geschieht dies auf einer Ostwärtsroute, gewinnt man so einen Tag. Verzwickt. Vorallem wenn es darum geht, eine Unterkunft zu buchen. Dass der Flieger kurz nach Mitternacht landet, macht das kleine Gehirnjogging nicht einfacher. Ebenso der Umstand, dass die Datumsgrenze erst 2011 von westlicher Seite von Samoa auf die östliche Seite verschoben wurde. Die Samoaner haben in diesem Jahr mal einfach den 30. Dezember ausgelassen. Und wir enden damit, dass wir Hals über Kopf eine zusätzliche Nacht in Honolulu buchen müssen. Tja, unsere Gehirne sind wohl schon etwas eingerostet.
Während wir mit unserem Flughafenshuttle über den Highway brausen, erleben wir unseren nächsten Kulturschock. Nach dem gemütlichen und ursprünglichen Savai’i, wo die Autos über die kleinsten Absätze schleichen und den Schweinen den Vortritt auf den Strassen lassen, gibt es hier keine Rücksicht auf Auto und Fahrgäste. Mit horrendem Tempo geht es über die sechsspurige Autobahn, das Auto klappert an allen Ecken. Von dunkler Nacht ist nichts zu sehen. Hochhäuser, Strassen, Einkaufsläden, alles ist noch hell beleuchtet. Unsere Wohnung liegt im 34. Stock. Die Sirenen einer Ambulanz ertönen bis nach oben. Ganz offensichtlich sind wir in Amerika angekommen.
Hawai’i, der 50. Bundesstaat der USA, wird auch Regenbogenstaat genannt. Als wir frühmorgens zum Fenster hinausblicken erspähen wir tatsächlich schon den ersten Regenbogen. Die Aussicht auf das Meer und Teile des berühmten Waikikibeach sehen wir kurz darauf.
In Reih und Glied marschieren sie durch die Strassen. Stramm, mit strengem Blick nach Vorne. Die Uniform sitzt. Im rechten Arm schwingen die Instrumente mit. Ein „Aloha“ rutscht dem einen oder anderen über die Lippen. Cheerleader folgen der Truppe. Dann wieder eine farbenprächtige Dame hoch zu Ross. Ein langgezogenes „AaalooHaaa“, die Prinzessin von Kauai begrüsst die Besucher und dankt beiläufig den Polizisten, welche neben uns stehen und für Sicherheit sorgen. Wir bestaunen gerade den Umzug des „Aloha-Festivals“. Als Abschluss eines mehrtägigen Festes wirkt dieser auf uns aber irgendwie etwas sehr militärisch. Abgesehen von den Musikgruppen die in Formation marschieren, lockern schrullige alte Damen, Ukulelespieler, verschiedenste Varianten von Schönheitsköniginnen und eben den Prinzessinen der einzelnen Inseln den Umzug auf. Begleitet werden die berittenen Teilnehmer des grössten staatenweiten Festivals der USA von einer horde Mistsammler. Die marschieren bewaffnet mit Besen, Schaufel und Abfalleimer hinter den Pferden nach und warten darauf, eine allfällige tierische Verschmutzung wegräumen zu können. Den Scheissjob nehmen sie aber gelassen und machen definitiv am meisten Stimmung.
Genau so schnell wie der Umzug begonnen hat, ist er auch wieder vorbei. Das Schlussbouquet besteht aus einem Konvoi mit Abschleppwagen und mehreren Reinigungsfahrzeugen. Wenige Minuten nach dem letzten Trompetenton donnert die alltägliche Blechlawine wieder durch die Strasse. Überdimensional grosse Pickups, unzählige Kleinbusse, Vans mit Surfbrettern auf dem Dach und weisse Limousinen mit vorwiegend asiatischen Gästen an Bord, dominieren nun das Strassenbild. Dazwischen quetschen sich die öffentlichen Busse. Für uns eine Wohltat, denn nach Samoa ist das Bussystem auf Oahu bestens organisiert und vor allem: Verständlich! Wir nutzen diese Tatsache und erkunden in den nächsten Tagen die gesamte Insel ohne eigenes Auto.
Nicht wenige Ziele unserer Fahrten dienen als Startpunkt für verschiedene Wanderungen. Ein breit, asphaltierter Weg führt uns zu einem Leuchtturm im Südwesten der Insel. Neben dem gut eingezäunten Kindeshaus von Barack Obama, über einen schmalen Pfad durch die Wälder gelangen wir zu einem genialen Aussichtspunkt und bemerken einmal mehr, wie schnell das Wetter hier wechselt. Eben noch an der Sonne, verdeckt plötzlich eine dicke Wolkenbank die Aussicht. Schon wenige Minuten später jedoch ist das Meer wieder problemlos zu erkennen. Ein Wolkenbruch bringt einem hier schon nach wenigen Tagen nicht mehr aus der Ruhe. Selten lohnt es sich, die Regenjacke aus dem Gepäck zu kramen. Irgendwo unterstehen ist definitiv die bessere Lösung.
So stehen wir an einem anderen Tag keuchend in einem Bunker auf der Spitze des „Kokohead“, während ein zweiminütiger Schauer auf das Dach niedergeht. Genügend Zeit um nach dem steilen Aufstieg wieder zum Atmen zu kommen. Knappe 1000 Treppen, oder besser gesagt marode Eisenbahnschwellen, sind zu bezwingen ehe man die Aussicht über die Buchten bestaunen kann. Doch nicht alle sind zum Vergnügen hier. Manche nutzen die Strecke um zu trainieren. Als wir beim Abstieg eine durchtrainierte Frau zum dritten Mal kreuzen, sprechen wir sie an. Lachend, jedoch gezeichnet von der Anstrengung meint sie, es sei der siebte Aufstieg in Folge. Aber die Beine seien im Moment hart wie Steine. Kein Wunder, uns schlottern die Knie schon nach dem ersten Mal wie Pudding. Wir sind beide überzeugt, dass wir die Frau in knapp drei Wochen auf Big Island am Ironman wieder sehen werden.
Ein weisses, längliches Gebäude prägt das Hafenbecken von Pearl City. Als praktisch die komplette Flotte der US-Marine am 7. Dezember 1941 in Pearl Harbor lag, griff die japanische Armee mit insgesamt über 350 Flugzeugen die nichtsahnenden Amerikaner an. Sie zerstörte in knapp zwei Stunden die meisten Schiffe und tausende Menschenleben. 900 davon fielen der Explosion des Waffen- und Tanklagers der USS Arizona zum Opfer. Bei ruhigem Wasser ist das knapp unter der Oberfläche liegende Wrack noch immer gut sichtbar. An der Stelle der Kommandobrücke steht heute die weisse Gedenkstätte knapp über dem Wasser. In unregelmässigen Abständen treten Ölwolken aus dem Wrack an die Oberfläche. Seit 75 Jahren erinnern diese „black tears“, wie die Ölschlieren auch genannt werden an das traurige Ereignis. Als direkte Folge des Angriffs erklärte die USA den Japanern den Krieg und trat somit offiziell dem zweiten Weltkrieg bei.
Ebenso bekannt wie die Geschichte von Pearl Harbor ist auch die Tatsache, dass das klassische „Big Wave-Surfen“ auf Oahu entstanden ist. Während sich am Northshore, dem Ursprungsort des Surfens die Könner die grossen Wellen teilen, beginnen viele mit den ersten Übungen am Waikikibeach. Eine ganze Nebengasse ist gesäumt mit farbigen Surfbrettern. Auf der Strasse begegnet man nicht selten einem Surfer in Badehose und dem Brett unter dem Arm. Dies gehört hier ebenso zum Alltag wie bei uns der Gang zur Kaffemaschine.
So erstaunt es nicht, dass auch am Tag unserer Abreise frühmorgens die ersten Surfer schon auf die Wellen warten, während wir noch verschlafen unsere sieben Sachen zusammenpacken.