Ich versuche all die Eindrücke in mir aufzusaugen. Die üppige Landschaft begeistert mich. Bambus, Tamarinde, Papayabäumchen, Kokospalmen, Kakaobäume, Bananenstauden, dazwischen immer wieder Reisfelder. Saftig grüne Reisfelder. Jeder Stabilo Leuchtstift würde beim Anblick der Farbe vor Neid erblassen. Kühe, Büffel, Pferde und Ziegen weiden, Kinder spielen unbeeindruckt in unmittelbarer Nähe der Strasse. Es riecht gleichzeitig nach gemähtem Gras, gerösteten Kaffeebohnen, Benzin und Feuer. Ab und zu blitzt ein Wellblechdach aus dem Grün hervor. Vor einigen Minuten haben wir unseren Flores-Roadtrip gestartet. Unterwegs mit nur einem Rucksack, fahren wir mit dem Moped unseren Abenteuern entgegen. Als hätte er einen Harley Davidson unter dem Füdli, fährt Simon die kurvenreichen Strassen des indonesischen Emmentals rauf, runter, rauf und noch mehr runter. Ich spüre den Töfflibueb in ihm. Überraschend sind nicht nur die gut präparierten Strassen auf der Südseite der Insel, auch die vielen Kirchen sind ungewohnt. Die Bewohner Flores wurden nicht nur von Händlern aus Portugal und Holland beeinflusst, auch europäische Missionare haben hier ihre Spuren hinterlassen und die Bevölkerung bis in den heutigen Tag geprägt. Der Grossteil der Indonesier glaubt an den Islam und bildet damit die grösste muslimische Gesellschaft weltweit. Auf Flores jedoch gehören um die 91% dem Christentum an. Durchqueren wir Dörfer hören wir von allen Seiten: „hello mistaar“. Die Menschen lachen uns entgegen, winken uns zu. Besonders Kinder warten auf ein High Five, vergebens. Schliesslich sitzen wir auf einem Roller. Schülergruppen schreien uns im Chörli hinterher, als würden sie den ganzen Tag nichts anderes machen. Ganz egal ob jung oder alt, alle heissen sie uns willkommen. Benötigen wir oder unsere Allerwertesten eine kurze Pause, dauert es nicht lange und wir werden angesprochen. Beinahe lässt eine Frau ihre Waren vom Kopf fallen, als sie sich etwas zu ruckartig in unsere Richtung dreht. Flores, die Insel der lachenden Gesichter. Ab und zu fehlt ein Zahn, nicht selten ist es rot. Das Lachen. Wie bereits in Myanmar sind hier die Bettelnüsse für die roten Zähne verantwortlich. Rot. Jaaa, vor etwa zwei Tagen sah ich kurz auch rot.
Wieder einmal stehe ich dazwischen. Ich habe schon oft die Rolle der Schlichterin übernommen. Nun ist es also auch in Indonesien soweit. Wir sind mittlerweile seit 12 Stunden unterwegs. Was ich zum Abschluss dieses Tages sicherlich nicht brauchen kann, ist eine Schlägerei.
Aber mal alles der Reihe nach.
Es ist 7.00 Uhr morgens als wir bei unserem Hotel in Labuan Bajo abgeholt werden. Ein kleiner Bus mit Klimaanlage soll uns innerhalb der nächsten 8 Stunden nach Bajawa bringen. Wir sind lange genug unterwegs, um zu wissen, dass wir diese Zeitangabe nicht ganz ernst nehmen dürfen. Trotzdem verlieren wir die Hoffnung nicht, den wir haben eine mächtige Stange Geld für diesen Transport hingelegt. Nach einer 4-stündigen Fahrt erreichen wir Ruteng. Da wir uns zuvor beim Touristenbüro vergewissert haben, wissen wir, dass dieser Bus bis nach Bajawa durchfahren wird. Wir gehen davon aus, dass wir nur eine kleine Pause machen. Wenn wir uns da mal nicht täuschen. 2.5 Stunden warten. Macht ja nichts, wir haben Zeit. Um 14.00 Uhr gehts in einem anderen Bus weiter. Klimaanlage? Fehlanzeige! Sie sei defekt. Dafür funktioniert die Musikanlage umso besser. Volle Dröhnung. Der Tinnitus ist also vorprogrammiert. Auf den hintersten Reihen schwitzen wir die nächsten Stunden vor uns hin und können uns so gar nicht ab der indonesischen Musik erfreuen. Viel zu laut, viel zu nervig. Eine Mischung zwischen indisch-/chinesischem Geklimper und dem Crazy Frog ist, wenn überhaupt, für die ersten zwei Minuten unterhaltsam. Glücklicherweise sind wir im Besitz geräuschunterdückender Kopfhörer. Olé..! Während der Fahrt erhitzen sich unsere Körper, genauso wie unsere Gemüter. Gegen 19.00 Uhr heisst es aussteigen. Wir seien in Bajawa. Tatsächlich aber stehen wir an einer Kreuzung 2 Kilometer von der Stadt entfernt. Wir sind nicht bereit, erneut Geld für einen Transport zu bezahlen und protestieren. Es habe geheissen, der Bus bringe uns bis zur Unterkunft. Ob es in Bajawa ein Büro der Firma gäbe, wollen wir wissen. Während Simon mit dem Chauffer spricht, fährt ihm dieser kommentarlos davon. Um den Bus wieder zum Stillstand zu bringen, klatscht Simu im letzten Moment auf das Heck des Busses. Erfolglos. Wohl oder übel machen wir uns auf den Weg nach Bajawa. Von allen Seiten werden wir belagert. Jeder möchte ein gutes Geschäft mit uns machen und uns in die Stadt transportieren. Wir sind uns jedoch einig, dass wir den Kopf verlüften und zu Fuss gehen wollen. Nach etwa fünf Minuten hält der gleiche Bus wie zuvor neben uns an. Der Chauffeur steigt wutentbrannt aus, nimmt Kurs auf Simon und erhebt seine Faust. Zu den weniger sympathischen Seiten am Menschen gehört, dass er oft eine Wut auf das eine hat, es aber an was anderem auslässt. Es kann unmöglich sein, dass dieser Klaps auf den Bushintern den Mann so unheimlich wütend gemacht hat. Nichts desto trotz gilt Simon nun als seine Zielscheibe. Ich stehe dazwischen und frage ihn was das Problem sei. Das Geschrei des Mannes hat mittlerweile auch andere Einheimische angezogen. Diese versuchen die Situation zu verstehen und den Mann zurückzuhalten. Wir machen uns unterdessen aus dem Staub. Nach weiteren fünf Minuten hält ein Bemo, ein Minibus, neben uns. In gutem Englisch meint eine Frau, welche das eben Geschehene beobachtet hat, dass sie uns gerne helfen und uns kostenlos in die Stadt bringen möchte. Die Strasse sei gefährlich und der Weg noch lang. Nun wird es auch für mich zu viel. Eben noch einem Faustschlag nahe, erhalten wir plötzlich so viel Hilfsbereitschaft. Unter Tränen lehne ich ihr Angebot dankend ab und erkläre ihr, dass wir einfach etwas frische Luft brauchen.
Tage später stehen wir beim Eingang des Kelimutu Nationalparks. Ein Vulkan der zuletzt 1968 ausgebrochen sein soll, ist unser Ziel. Der Eintrittspreis für ausländische Touristen ist horrend, dessen sind sich die Bewohner des Dorfes Moni bewusst. Während die Einheimischen unter der Woche 37 Rappen zahlen, blättern ausländische Gäste ganze 11.- hin. An Sonn- oder Feiertagen ist der Preis 30% höher. Der Bevölkerung ist diese grosse Differenz ganz und gar nicht recht. Ihnen sind jedoch die Hände gebunden, da die Preise von der Regierung vorgeschrieben wurden. Also bleibt auch uns nichts anderes übrig. Wir zahlen die Gebühr und sind gespannt was der Mount Kelimutu zu bieten hat. Der Sonnenaufgang ist zweifelsohne schön anzuschauen, die drei Seen welche von Zeit zu Zeit die Farbe wechseln sind einzigartig. Die Geschichte dazu ebenso. Gemäss den Bewohner Monis verheisst ein Farbwechsel nichts Gutes. Sie glauben, dass die verstorbenen Seelen ihrer Verwandten in den Seen ruhen. Wechselt die Farbe eines Sees so wiederspiegelt dies die Wut auf die noch lebenden Verwandten. In Wirklichkeit ist jedoch der Austritt von chemischen Stoffen für die Veränderung der Farbe verantwortlich. Uns fehlt im Allgemeinen etwas Action. Kein Getöse, kein Geblubber, keine Rauchsäule die aufsteigt, einzig der Schwefelgeruch erinnert an einen Vulkan, alles andere könnte auch gut ein Bergsee in den Alpen darstellen. Zugegeben, der Mount Bromo hat mit seinem Geblubber auch ordentlich vorgelegt. Trotzdem werden wir dieses Erlebnis und das Dörfli Moni in guter Erinnerung behalten. Dazu massgeblich beigetragen haben auch unsere „Gasteltern“ Ross und Johannes. Die beiden haben uns während der Zeit ordentlich verwöhnt. Zum Dank, dass ich ihr im Garten geholfen habe, lädt Ross uns kurzerhand zum Mittagessen ein. Reis und Gemüse aus dem eigenen Garten dazu leckeren Fisch. Am Abend kommen wir in den Genuss einer traditionellen Tanzaufführung. Das Publikum besteht aus sage und schreibe drei Zuschauern. Schade eigentlich, denn die 15 Dorfbewohner legen sich nicht nur beim Tanzen sondern auch beim Singen mächtig ins Zeug.
Wir erleben allerhand auf dieser Insel und auf diesem Trip. Kein Roadtrip ohne Platten oder ein Unglück kommt selten allein. Tatsächlich. 5 Kilometer vor unserer nächsten Unterkunft wird unser Pneu schwach. Die Menschen sind uns jedoch wohlgesinnt. So erstaunt es auch nicht, dass wir den Roller nur etwa 200 Meter schieben müssen, ehe wir Hilfe von Einheimischen kriegen. Ein Kioskverkäufer verdient sich nebst dem Verkauf von Bonbons und Süssgetränken den Lebenunsterhalt mit Reifenflickerei. Ratz fatz ist der defekte Schlauch ausgewechselt und der neue aufgepumpt. Ein mulmiges Gefühl beim Fahren bleibt trotzdem. Nach ungefähr 150 Kilometern ist bei uns erneut die Luft raus. Glück im Unglück, denn wir befinden uns an einem Dorfende und nicht irgendwo in der Pampa (davon gibts auf Flores nämlich zur Genüge). Für ganze 40 Rappen lassen wir den zweiten Platten reparieren. Die halbe Nachbarschaft gesellt sich zum Event des Tages. Augenpaare richten sich auf uns, beobachten jede noch so kleine Bewegung. Die Blicke durchdringen uns. Big Brother kann sich hiervon eine gehörige Scheibe abschneiden. Der Töfflimech hätte sich wohl besser auf die Arbeit als auf uns konzentriert. Obwohl wir von seiner Flickkunst überzeugt sind, schieben wir nach knapp 15 Kilometern unseren Roller erneut. Und wieder haben wir mehr Glück als Verstand. In einem anderen Dorf zeigt ein etwa 12-jähriger Junge sein Können. Während er den defekten Schlauch repariert, säubern wir das Innere des Pneus und finden winzig kleine Scherben. Das sind wohl die Übeltäter, denken wir. Tatsächlich ist aber die Innenwand des Reifens aufgeraut, was auch zu Platten Nr. 4 führt. Vor uns haben wir noch gut 50 Kilometer. Das wäre nicht weiter spektakulär. Der Strassenzustand wechselt aber von einem Moment in den anderen so schnell, wie ein Chamäleon die Farbe. Die regelmässige Kontrolle des Pneus an den Dorfenden gehört von nun an halt einfach dazu. Mit dem Gedanken, dass wir nicht schneller fahren dürfen als unsere Schutzengel fliegen können, erreichen wir endlich Bajawa. Gesund, munter und vorallem unfallfrei.